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Eva Nieuweboer
Fachbeitrag

Der demografische Wandel in Deutschland - Fachbeitrag von Eva Nieuweboer

Durch den demografischen Wandel steht unsere Gesellschaft vor einer großen Herausforderung. Davon bleiben auch Kultureinrichtungen nicht ausgeschlossen. Sinkende Steuereinnahmen und eine veränderte Bevölkerungsstruktur wirken sich direkt auf den Kulturbetrieb aus. Welchen veränderten Rahmenbedingungen muss sich die Kultur stellen? Und wie können Kultureinrichtungen reagieren, um diese unvermeidlichen Entwicklungen als Chance zu begreifen?

Die demografische Entwicklung in Deutschland

Der Begriff „demografischer Wandel“ beschreibt die fortlaufenden Entwicklungen der Bevölkerungsstruktur, die von der Geburtenrate, der Lebenserwartung und dem Wanderungssaldo beeinflusst wird. Der Begriff ist zunächst weder positiv noch negativ behaftet und kann sowohl eine Bevölkerungszunahme als auch eine Bevölkerungsabnahme bezeichnen. Dennoch wird der Begriff in der Öffentlichkeit oftmals mit einem Negativszenario gleichgesetzt. Dies lässt sich mit dem seit Jahren in der Bundesrepublik sich vollziehenden gesellschaftlichen Umbruch erklären, dessen weitreichende Konsequenzen in Politik, Wirtschaft, Kultur und Gesellschaft für Unsicherheit sorgen.

Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland für die kommenden Jahrzehnte ist weitestgehend durch zahlreiche Bundes- und Länderstudien vorgezeichnet. Die wichtigsten Veränderungen in der Bevölkerungsstruktur lassen sich kurz mit der Aussage zusammenfassen: Wir werden immer weniger, älter und bunter. (1)
Als Ursachen für den demografischen Wandel gelten der Geburtenrückgang beziehungsweise die anhaltende geringe Geburtenrate bei einer gleichzeitig steigenden Lebenserwartung und die zunehmende Zuwanderung aus dem Ausland, welche allerdings den Überschuss an Sterbefällen und den Geburtenrückgang nicht ausgleichen kann. Darüber hinaus führt die Binnenwanderung innerhalb Deutschlands zu unterschiedlichen Entwicklungen in den deutschen Regionen und Städten.

Der demografische Wandel stellt eine der dringendsten Herausforderungen der Gegenwart dar. Er verändert die kulturelle und soziale Bevölkerungszusammensetzung und beeinflusst die zukünftige Infrastruktur an Kinderbetreuungseinrichtungen, das Bildungswesen, die Zahl und die Struktur der Erwerbspersonen sowie den Gesundheits- und Pflegesektor.
Die sinkende Bevölkerungszahl führt dazu, dass weniger Menschen in Deutschland erwerbsfähig sind und Steuern zahlen können. Dadurch sinken die Budgets der öffentlichen Haushalte. Gleichzeitig steigen die Ausgaben, da die sozialen Sicherungssysteme überproportional beansprucht werden.

Die Auswirkungen des gesellschaftlichen Wandels für Kulturbetriebe

Das öffentliche Interesse an den demografischen Veränderungen in Deutschland ist groß, entsprechend haben die meisten Bundesländer das Thema auf ihre politische Agenda gesetzt und die Wirtschaftsunternehmen passen sich dem gesellschaftlichen Wandel und den damit einhergehenden veränderten Bedürfnissen strategisch an. Trotz dieser Tendenzen und der generell hohen Sensibilität für gesellschaftliche Entwicklungen von Kunst und Kultur, haben sowohl die Kulturpolitik als auch die Kulturbetriebe die Auswirkungen der demografischen Verschiebungen in der Vergangenheit weniger Beachtung geschenkt.
Da die Kultureinrichtungen die Folgen der Bevölkerungsentwicklungen nun immer stärker zu spüren bekommen und unter zunehmenden finanziellen Druck stehen, setzen sie sich in jüngster Zeit mit dem Thema auseinander, was sich an den Tagungen und den Veröffentlichungen von Fachbüchern und -artikeln zur Problematik des demografischen Wandels zeigt. (2)
Dennoch existiert wenig Material zur Frage, welche Auswirkungen der demografische Wandel auf die Kulturlandschaften und Kulturproduktion haben wird und wie die Kulturpolitik darauf reagieren sollte. Selbst namhafte Forschungsinstitutionen und Kulturstatistiken, die den demografischen Wandel untersuchen, behandeln Kultur in dem Bezugsrahmen nicht. Lediglich Bundesländer wie Hessen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen sowie die Kulturministerkonferenz, die Enquete-Kommission Kultur und der Deutsche Kulturrat haben in den vergangenen drei Jahren Veröffentlichungen und Empfehlung zum Thema für die Kultur vorgelegt. (3)
Die Komponenten des demografischen Wandels, wie abnehmende Geburtenrate, zunehmende Lebenserwartung, steigende Zuwanderung aus dem Ausland betreffen aber nicht nur Wirtschaftsunternehmen, Krankenkassen, Kindergärten und Schulen, sondern sie wirken sich direkt auf die Rahmenbedingungen für die Kultur aus. (4)

Kulturfinanzierung

Einerseits wird erwartet, dass durch die überdurchschnittlich höheren Ausgaben der älteren Generationen für Kultur die Einnahmen in Kulturbetrieben durch Eintrittskartenverkauf steigen können. Andererseits tragen in Deutschland Bund, Länder und Kommunen 90 Prozent der Kulturförderung und diese sind im zunehmenden Maße vom Rückgang der Steuern zahlenden Bevölkerung und den steigenden Kosten für soziale Sicherungssysteme aufgrund der steigenden Lebenserwartung betroffen.(5)  Dies kann dazu führen, dass weniger Mittel im öffentlichen Haushalt der Kommunen für den kulturellen Sektor bereitgestellt werden.(6) Darüber hinaus können durch den Bevölkerungsrückgang und den damit verbundenen geringeren Nutzern kultureller Angebote die Einnahmen aus Eintrittsgeldern in den Kulturbetrieben sinken.(7)

Veränderte Besucher- und Nutzerstrukturen

Kulturbetriebe müssen sich aufgrund der Alterung der Gesellschaft auf einen Wandel von Werten, Interessen und Bedürfnissen einstellen. Je nach ihrem Lebensalter tragen die Nachfrager unterschiedliche Bedürfnisse an die Kulturinstitution heran: Ältere Menschen bevorzugen größtenteils andere Darbietungen von Kunst und Kultur als die jüngere Generation. Zudem sind je nach Lebensphase die Voraussetzungen im Sinne der Mobilität und der finanziellen Möglichkeiten verschieden ausgeprägt, kulturelle Angebote wahrzunehmen.(8) Insbesondere Opernhäuser und Theater konzentrieren sich zunehmend auf die Bedürfnisse der älteren Generation und vernachlässigen dabei die nachwachsende junge Generation an ihre kulturellen Angebote heran zu führen.
Insgesamt wird die Gesellschaftsstruktur komplexer, kulturelle Bedürfnisse und Interessen gehen weiter auseinander, wodurch heterogene Zielgruppen entstehen, die bedarfgerechte Zugangs- und Nutzungsbedingungen benötigen.(9)

Zunahme der Bevölkerung mit Migrationshintergrund

Der Großteil der Kulturinstitutionen steht dem Thema Migration noch weitgehend unvorbereitet gegenüber. Einerseits können Kultureinrichtungen mit kulturellen Angeboten oder mit der Vermittlung und Anerkennung kultureller Identitäten einen Beitrag zur Integration leisten und dadurch gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Andererseits können Kultureinrichtungen mit solchen gezielten Angeboten einen wirtschaftlichen Nutzen für sich generieren, da Migranten ein Marktpotenzial darstellen und geringere Besucherzahlen anderer Zielgruppen kompensieren können.

Der demografische Wandel als Chance für Kulturbetriebe

Kulturschaffende und Kulturinstitutionen sind nicht nur Betroffene des demografischen Wandels, sondern auch Akteure, die den demografischen Wandel in den Städten und Regionen gestalten und diesen als Chance begreifen können.(10) Möchten die Kulturinstitutionen ihre Auslastung und damit ihre finanzielle Situation langfristig auf einem stabilen Niveau halten, müssen sie sich dem demografische Wandel stellen und einen Bewusstseins- und Strategiewandel durchlaufen.
Die kulturelle Infrastruktur muss sich an die quantitativen Veränderungen der Bevölkerung anpassen, um den sich verändernden Zielgruppen gerecht zu werden.
Eine Kulturentwicklungsplanung sollte neben der Berücksichtung der kulturellen Bedürfnisse der älteren Generationen aber auch die Partizipation der Migranten in den Kulturinstitutionen stärken. Obwohl viele der Kulturinstitutionen, wie vor allem Ballettensembles und Philharmoniker auf Personal aus den verschiedensten Teilen der Welt angewiesen sind, spiegelt sich dies in ihrer Programmgestaltung selten wider. Darüber hinaus ist in vielen klassischen Kulturinstitutionen wie Theater, Oper, Museen und Konzerthäuser eine eindeutige Alterung der Besucherstruktur erkennbar, wohingegen Migranten in ihrer Publikumsstruktur kaum eine Rolle spielen. Einige positive Ausnahmen in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Berlin sowie in Städten wie bspw. Stuttgart und Nürnberg beweisen hingegen eine interkulturelle Öffnung ihrer Programm- und Publikumsstruktur.(11)

Dass die Anpassung der Programmstruktur z. B. an die Bedürfnisse von Migranten an kulturelle Leistungen zum Erfolg führen kann, zeigt der Blick über den Ärmelkanal: In Groß Britannien konnten durch die Ausrichtung des Programms und der Marketingaktivitäten auf ethnische Minderheiten teils durch eigene Anstrengungen der Theaterleute selbst, teils durch das mit 20 Millionen Pfund hoch subventionierte New Audiences Programme mittlerweile Erfolge erzielt werden. Zwischen 1998 und 2003 wurden 1.157 Zuschüsse im Rahmen dieses Programms bewilligt; Ein Fünftel davon war für sogenannte diversity projects bestimmt. Das waren etwas über 4 Millionen Pfund an Zuschüssen für 209 verschiedene Projekte. Man rechnet, dass insgesamt über 4 Millionen neue Zuschauer gewonnen werden konnten. Davon besuchten 14 Prozent oder etwas über 540.000 diversity projects. Die Zahl der Bühnen, die bereit sind, Stücke von schwarzen bzw. asiatischen Autoren aufzuführen nimmt ständig zu. Allein im Jahre 2003 wurden elf neue Stücke von schwarzbritischen Autoren an bedeutenden Londoner Bühnen uraufgeführt. Zwischen 2005 und 2008 wurden sogar 28 weitere Aufführungen gezählt.(12)

Quellen

1 Sievers in Hausmann/ Körner (2009): Demografischer Wandel und Kultur
2 Dreyer in Hausmann/ Körner (2009): Demografischer Wandel und Kultur
3 Hausmann/ Körner (2009): Demografischer Wandel und Kultur
4 Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2004): Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kultur
5 Hausmann (2006): Kundenorientierung im Kulturbetrieb
6 Deutscher Bundestag (2008): Enquete Kommission Kultur
7 Dreyer in Hausmann/ Körner (2009): Demografischer Wandel und Kultur
8 Dreyer in Hausmann/ Körner (2009): Demografischer Wandel und Kultur
9 Sekretariat der ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland (2004): Auswirkungen des demografischen Wandels auf die Kultur
10 Deutscher Bundestag (2008): Enquete Kommission Kultur
11 Deutscher Bundestag (2008): Enquete Kommission Kultur
12 Düsseldorfer Institut für soziale Dialoge