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Interview mit Sarah Kreienbühl: «Die Migros macht mehr, als vielen bekannt ist»

Das gesellschaftliche Engagement gehört zur Migros wie der Kult Ice Tea. Als oberste Verantwortliche erklärt Sarah Kreienbühl, wo die Migros künftig Akzente setzen will.

Sarah Kreienbühl, viele Unternehmen engagieren sich für die Gesellschaft. Was macht die Migros anders?
Die Migros engagiert sich bereits seit Gründerzeiten für die Gesellschaft, das ist aussergewöhnlich. Gottlieb und Adele Duttweiler verankerten 1957 mit dem Kulturprozent zwei sehr mutige Punkte in den Statuten: Finanziert wird das Engagement als Anteil vom Umsatz – unabhängig vom erzielten Gewinn. Und es soll ein eigenständiges Ziel sein, gleichberechtigt mit den kommerziellen Aktivitäten der Migros. Beides war damals unglaublich visionär und beweist die Ernsthaftigkeit der Idee. Seit 1957 haben wir so knapp fünf Milliarden Franken ins gesellschaftliche Engagement investiert. Man darf sagen: Das macht die Migros weltweit einzigartig.
 
Gesellschaftliche Verantwortung ist ein weiter Begriff. Was will und kann die Migros leisten?
Im Kern geht es uns immer darum, Menschen Zugang zu Leistungen und Angeboten zu verschaffen. Dies mit dem Ziel, den Zusammenhalt in unserer zunehmend fragmentierten Gesellschaft zu stärken. Die Individualisierung nimmt zu und damit auch die Gefahr, dass wir den Zugang zu den Realitäten unserer Mitmenschen verlieren und das Verständnis füreinander schwindet. Hier möchten wir ansetzen und Lücken schliessen, die neben Staat und Privatwirtschaft entstehen. So zum Beispiel im sozialen Bereich, indem wir helfen, sogenannte Caring Communities aufzubauen, wo sich Menschen gegenseitig im Alltag unterstützen. Auch im sozialen Bereich möchten wir Lücken schliessen.
 
Gemessen am über 60-jährigen Bestehen könnten die Angebote des Kulturprozents in der Bevölkerung auch bekannter sein, oder?
Umfragen bestätigen in der Tat, dass viele Menschen sich nicht bewusst sind, wo sich die Migros überall engagiert. Wenn sie aber davon erfahren, dann sind sie begeistert. Weil man angesichts der grossen Vielfalt an Angeboten schnell den Überblick verlieren könnte, bauen wir dem gesellschaftlichen Engagement der Migros auf migros-engagement.ch nun ein neues digitales Zuhause. Zudem lancieren wir ein visuelles Erkennungszeichen, mit dem man auf den ersten Blick erkennt, wenn es sich um ein Engagement der Migros handelt.
 
Aber das Kulturprozent bleibt bestehen?
Das Kulturprozent, der Pionierfonds und der Unterstützungsfonds bleiben unverändert bestehen. Neu fassen wir die drei Fördergefässe unter dem Dach von Migros-Engagement zusammen und lancieren eine gemeinsame Onlineplattform. Die verbesserte Übersicht soll unseren Kundinnen und Kunden ermöglichen, für sie relevante und interessante Angebote einfacher zu finden. Zusätzlich erhöhen wir auf diesem Weg die Transparenz, wo die umfangreichen Mittel jedes Jahr hinfliessen.
 
Ein bisweilen gehörter Vorwurf: Wieso stattdessen nicht einfach das Brot verbilligen?
Durch ihr Engagement investiert die Migros einen Teil ihres Umsatzes in die Gesellschaft. Unsere Kunden bezahlen deswegen nicht mehr für ihr Brot, sondern die Migros als Genossenschaft gibt ihren Kunden und damit der Gemeinschaft etwas zurück. Wir stehen zu unseren Engagements – auch während der Pandemie. Um die Kulturschaffenden in dieser sehr schwierigen Zeit zu unterstützen, haben wir etwa die Gagen für bereits geplante Veranstaltungen bezahlt, auch wenn diese nicht stattfinden konnten.
 
Etwas weniger bekannt als das Kulturprozent ist sein kleiner Bruder, der Pionierfonds. Wie unterscheiden sie sich?
Das Kulturprozent wird aus dem Umsatz der Migros finanziert, der Pionierfonds ist das gesellschaftliche Engagement von Migros Bank, Denner, Migrol und Migrolino. Der Pionierfonds fördert gezielt mutige Ideen, die das Potenzial haben, uns als Gesellschaft weiterzubringen. Und so klein ist er gar nicht: Seit 2012 haben wir insgesamt eindrückliche 100 Millionen Franken in 100 Projekte investiert. 
 
Gibt es Pionierprojekte, die Sie speziell beeindrucken?
Besonders am Herzen liegt mir die Initiative «Stop Hate Speech». Anfeindungen und Beleidigungen sind im Internet leider weitverbreitet. «Stop Hate Speech» spürt mithilfe künstlicher Intelligenz Hasskommentare auf und schärft das Bewusstsein für einen respektvollen Umgang auch im Netz. Kurz vor einem Durchbruch steht zudem ein Projekt, das Recyclingkonzepte für Möbel entwickelt. Während Recycling bei anderen Produkten etabliert ist, besteht im Bereich der Möbel noch Potenzial. Die Migros-Tochter Micasa hat hier bereits Interesse signalisiert und arbeitet intensiv an einem Projekt für Matratzenrecycling. Wenn alles klappt, erfolgt die Lancierung noch dieses Jahr.
 
Und wie funktioniert das dritte Fördergefäss, der Unterstützungsfonds?
Der Unterstützungsfonds fördert seit 1979 soziale und ökologische Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in der Schweiz und weltweit. Über die Jahre hat die Migros so 41 Millionen Franken gesprochen. Über die eingegangenen Gesuche befindet eine Arbeitsgruppe der Delegiertenversammlung des Migros-Genossenschafts-Bunds drei- bis viermal pro Jahr.
 
Und welche sind Ihre persönlichen Highlights aus den vielen Angeboten des Kulturprozents? 
Ich darf sagen, dass mich bisher jedes Angebot, das ich besuchen konnte, auf seine eigene Art bereichert oder mir Zugang zu anderen Perspektiven vermittelt hat. Die Ausstellung «United by AIDS» im Migros Museum für Gegenwartskunst zum Beispiel hat mich nachdenklich gestimmt. An unserem Tanzfestival Steps wiederum habe ich Aufführungen erleben dürfen, die so beeindruckend und innovativ waren, dass sie unvergesslich bleiben. Oder ich durfte Konzerte von noch wenig bekannten Talenten erleben, die mich noch immer begeistern, wenn ich daran zurückdenke. Aber auch die Tavolata oder den Generationen-Jass finde ich eine tolle Sache. Mit dem Monte Generoso im Tessin oder dem Gurten in Bern verbinde ich schöne Erinnerungen an gesellige Momente mit meiner Familie und guten Freunden. Unsere Angebote sind wirklich enorm vielfältig und finden sich in der ganzen Schweiz.
 
Wie entscheidet die Migros, was mit den 159 Millionen Franken jährlich gemacht wird?
Diese Frage stellt sich tatsächlich immer wieder aufs Neue. Die Gesellschaft verändert sich und mit ihr auch ihre Bedürfnisse. Kultur und Bildung bleiben wichtige Pfeiler unseres Engagements. Jeder der 40'000 Kurse und Lehrgänge, die man bei der Klubschule als Privatperson belegen kann, wird vom Kulturprozent subventioniert. Damit möchten wir Bildung für alle erschwinglich machen. In Zukunft wollen wir unser bestehendes Engagement im Bereich der sozialen Integration weiter ausbauen und zudem Gefässe schaffen, bei denen unsere Kund*innen mitentscheiden können, wie die Mittel verwendet werden. Ähnlich wie auf Migipedia, wo unsere Kund*innen abstimmen können, welche Produkte ins Regal kommen.
 
Was verstehen Sie unter sozialer Integration? 
Wir möchten auch im sozialen Bereich Lücken schliessen und damit den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken. Mir liegt insbesondere ein Angebot für Jugendliche am Herzen, die am Arbeitsmarkt benachteiligt sind, weil sie beispielsweise aufgrund schwerwiegender familiärer Probleme Mühe bekunden, den üblichen Kriterien für eine Lehrstelle zu entsprechen. Mit speziellen Programmen möchten wir ihnen den Einstieg ins Arbeitsleben ermöglichen und damit einen konkreten Beitrag leisten, um sie zu integrieren. Einzelne Projekte laufen bereits erfolgreich in zwei Genossenschaften, dieses Engagement wollen wir ausbauen.