Der August 2018 war ein besonderer Monat in Chemnitz. Wie aus dem Nichts wurde die Stadt über Nacht zum Symbol rechter Gewalt, Hetze und rechtsextremer Ausschreitungen. Dass es passieren könnte, war der engagierten Zivilgesellschaft durchaus bewusst. Dass es aber eine solche Wucht haben würde, das war ungeheuerlich. Und das konnte und wollte hier niemand so stehen lassen. Es ging darum, Haltung zu beziehen und dem Bild in den Medien etwas entgegenzusetzen.
Nach den ersten Schreckmomenten versammelten sich also Akteure der Stadt, um ein Konzert aus dem Boden zu stampfen. Mit Popkultur gegen den Hass und damit klare Kante zeigen. Für eine tolerante und demokratische Gesellschaft, in der rassistisch motivierter Hass keinen Platz hat: #wirsindmehr! Das war in diesem Moment wichtig und richtig. Doch es stand fest, dass das nicht alles gewesen sein kann. Dass hier in Chemnitz auf einmal europäische Probleme wie durch ein Brennglas multipliziert und sichtbar wurden. Dass es kein Phänomen war, mit dem wir hier alleine dastehen. In Chemnitz gibt es Akteure, die auch bleiben, wenn die Kameras wieder weg sind. Es gibt Menschen, die für diese Stadt brennen, eben weil sie ganz anders ist als andere Städte. Und Menschen, die die Augen nicht vor den Problemen verschließen, sondern diese angehen und gemeinsam Lösungen dafür finden möchten.
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©Ernesto Uhlmann
Beim Komzert #wirsindmehr setzten 65.000 Menschen mitten in Chemnitz ein Zeichen gegen Hass und rechte Hetze
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©Ernesto Uhlmann
Mehr als nur Kulisse: Chemnitz wird für das KOSMOS CHEMNITZ zur internationalen Platform
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Der KOSMOS CHEMNITZ im Sommer 2019 war demnach die logische Konsequenz nach dem #wirsindmehr-Konzert. Es brauchte eine Plattform, um den Menschen eine Stimme zu geben, die sonst vielleicht nicht hörbar sind. Das wiederum passt heute fantastisch zum Titel der Kulturhauptstadtbewerbung: C the unseen. Die Menschen sollen in den Fokus rutschen, die sonst nicht wahrgenommen werden. Es fing damit an, dass die Orte der Stadt neu gesehen wurden. Eine Lesung mitten im Waschsalon? Klar! Eine Diskussion über Ballonfahrten 20 Meter über der Bühne, auf der gerade der Headliner spielt? Warum nicht? Insgesamt machten sich mehr als 50.000 Menschen aus ganz Deutschland auf den Weg, um genau das nicht zu verpassen: eine Stadt, die sich auf den Weg macht, etwas Großes auf die Beine zu stellen.
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In unzähligen Showcases wurde in verschiedenen Formaten präsentiert, was die Stadt und die Region beschäftigen. Es gab Lesungen, Diskussionsrunden, Workshops und die Musik auf den Bühnen wurde in Gebärdensprache übersetzt. Wer für eine Veranstaltung in die Stadt kam, stolperte über eine weitere und konnte Dinge entdecken, die so nicht erwartbar waren. Der KOSMOS CHEMNITZ sollte aber nachhaltig gedacht werden, keine Eintagsfliege und erst recht kein beliebiger Eintrag im Festivalkalender des Landes. Möglich wurde all dies nur durch das Engagement der Akteure vor Ort, die Lust hatten, etwas auf die Beine zu stellen und gemeinsam Europa zu zeigen, dass wir hier mehr können als für provokante Schlagzeilen zu sorgen. Es begann ein Prozess, der noch lange nicht abgeschlossen ist und der aufgrund der Pandemie ein Jahr pausieren musste.
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©Johannes Richter
Neue Formate an ungewohnten Orten auf dem KOSMOS Programm: eine Lesung im Waschsalon
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©Ernesto Uhlmann
Feiern und damit Haltung zeigen. Das geht ganz klar auf dem KOSMOS CHEMNITZ
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Langfristig ist das Ziel, einen eigenen Programmbeirat mit Bürgerinnen und Bürgern zu entwickeln um die einzelnen Themen gut zu kuratieren und durch eine breite aktive Mitgestaltung eine noch größere Akzeptanz des Formates innerhalb der Bevölkerung zu erreichen. Gesellschaftlich relevante Inhalte sollen mit popkulturellen Themen verknüpft und dadurch doppelt sichtbar werden. Nachdem der KOSMOS pandemiebedingt ein Jahr pausierte, starten wir 2021 mit einer hybriden Variante durch. Im Zentrum steht die Webseite www.kosmos-chemnitz.de – und die Inhalte überraschen mindestens so sehr wie es analog der Fall wäre.
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Es wird eine Lesebühne mitten in Plattenbaukulisse geben, ein Festival der Meinungsverschiedenheiten lädt zum offenen Gespräch ein und eine Rad-Parade führt mit musikalischer Begleitung durch die halbe Stadt. Von jeder Veranstaltung wird es dann auch etwas digital zu sehen geben – sei es ein Podcast, ein Video, Musik oder Fotos.
Doch das alles ist erst der Anfang. Als Festival für Demokratie will der KOSMOS Chemnitz auch in Zukunft Haltung zeigen, Menschen zusammen bringen und unterschiedliche Facetten des Miteinanders diskutieren, in Frage stellen und erlebbar machen. Die Plattform dient als Anker für kommende Jahre – sie soll zu einem virtuellen Forum für kulturelles, zivilgesellschaftliches und demokratisches Engagement ausgebaut werden. Das ganze Jahr über können dort gesellschaftliche Themen verhandelt werden. Es ist erlaubt, auf dem KOSMOS kritisch zu sein und mit neuen Formaten ein neues Bewusstsein zu schaffen. Was es dafür braucht, sind die Menschen vor Ort, aus der Region, des Landes und aus ganz Europa.Als partizipatives Festival darf und soll jeder Teil des KOSMOS bleiben und werden.
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© Ernesto Uhlmann
Sonst hinter verschlossenen Türen, hier mitten in der Stadt: der KOSMOS CHEMNITZ ist eine Plattform für Dinge, die uns in Zukunft bewegen
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Aber es geht um noch mehr: Der KOSMOS CHEMNITZ hat das Ziel, zukünftig zu einer der wirklich wichtigen europäischen Veranstaltungen zu werden, die Musik, Kultur und Politik miteinander verbindet. Er wächst mit der Gemeinschaft. Und mit den Ideen, die in ihm entstehen. Der Anspruch ist hoch und das Ziel klar: der KOSMOS CHEMNITZ wird mit dem Power eines Titels „Kulturhauptstadt Europas“ als Rückenwind zu einer relevanten Nummer in der gesellschaftspolitischen Festivallandschaft. Und wir sind fest davon überzeugt, dass es ein guter Weg wird zu einem großartigen KOSMOS EUROPE im Kulturhauptstadtjahr 2025.